Italien und Krieg: Interview, das für Unmut sorgt

Italien und Krieg: Interview
Alte Schreibmaschine | © Peter Lewicki

Italien und Krieg: Das Interview einer Journalistin mit der Leiterin eines römischen Forschungsinstituts für internationale Beziehungen wirft ein schräges Licht über den Stand der Russland-Kenntnisse und die Attitüde der italienischen Elite in Sachen Ukraine-Krieg. Zu den eigenen Fehlern zu stehen ist lobenswert, soweit der Irrtum nicht die Grenze des Unentschuldbaren übersteigt.


Ich nenne Person und Anstalt nicht, denn die folgenden Überlegungen gelten in kaum veränderter Form bei vielen ähnlichen Instituten. Einführend würdigt die Journalistin die betreffende Forschungsanstalt als «eine unter den 20 einflussreichsten der Welt» – Die Platzierung scheint leicht überschätzt, doch ich will den Menschen dort die Wonne des Glaubens, sie sei echt, nicht verderben. Für italienische Verhältnisse ist das Institut immerhin von beachtlichem Ansehen.

Die Forschungsleiterin nimmt das Wort: «Ich selbst lag falsch, ich war unter denjenigen, die glaubten, dass wir [im Ukraine-Krieg] den Dialog suchen mussten, dass die Osteuropäer die Lage nur dramatisierten. Ich habe eine richtige Gewissenserforschung vorgenommen, am Kriegsanfang, im vergangenen Jahr. Es stimmt, der Wendepunkt war kam am 24. Februar 2022. Im Nachhinein gesehen, war der eigentliche Wendepunkt schon das Jahr 2014 und wir haben es ignoriert, aus Kurzsichtigkeit und Bequemlichkeit.»

Italien und Krieg: Zu den eigenen Fehlern zu stehen genügt nicht

Luca Lovisolo zu Alexei Nawalny
Eine Kurzreferenz zum russischen Aktivisten Alexei Nawalny – von Luca Lovisolo

Zu den eigenen Fehlern zu stehen ist ja lobenswert – Soweit der Irrtum nicht ins Überdimensionale wächst, bezüglich des Sachverhalts und der Verantwortung der irrenden Person. In Italien und Europa gibt es Russlandforscher, die seit wenigstens zehn Jahren warnen: Passt auf, in Moskau tut sich was, das uns wehtun wird. Die innerrussiche politische Entwicklung, die zu den heutigen Konsequenzen geführt hat, ist seit 25 Jahren in vollem Gange.

Jeder, der ernsthafte Fachkenntnisse über russische, ukrainische und postsowjetische Politik vorweisen konnte; diejenigen, die über die schrecklichen Entwicklungen ermahnten, die der Kreml präparierte – alle wurden vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen. Wer Bücher schrieb, fand keinen Verleger; wer sich bei den Medien meldete, wurde ignoriert oder als schrägen Vogel hingestellt, der Heilige Mutti Russland in den Dreck treiben will.

Erst nach dem 24. Februar 2022 hat sich das Bild verändert, allerdings nicht ganz. Echte Experte kamen zu Wort, obschon die lautesten Stimmen der Debatten, in den besten Sendezeiten und den grössten Medien, in Italien wie in Deutschland, immer noch aus einer unerträglichen Clilque prorussischer Propagandisten stammen – Dozenten, Journalisten, sogar Generäle a.D.

Die reuige Forschungsleiterin ist in den Medien allgegenwärtig und will die Welt über Russland und die Ukraine belehren, wobei sie nicht einmal Russisch kann. Mit ihren ernüchternden Äusserungen beleidigt sie all diejenigen, die fundierte Fachkenntnisse über Osteuropa erworben und ihr Leben lang vergeblich versucht haben, solche Kompetenzen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Und nun, nach elf Kriegsmonaten unsäglichen Gräuels und abertausenden Toten, muss man sich das reumütige Einlenken einer Forschungsleiterin gefallen lassen. Das würde das Mass des Erträglichen übersteigen, hätten alle echten Fachkenner die Messlatte des Erträglichen nicht schon längst weit höher gestellt.

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Luca Lovisolo DE

Ich wohne in der Südschweiz und arbeite als freiberuflicher Forscher für Recht und internationale Beziehungen. Schwerpunkt meiner Arbeit ist Mittel- und Osteuropa.

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    Luca Lovisolo

    Lavoro come ricercatore indipendente in diritto e relazioni internazionali. Con le mie analisi e i miei corsi accompagno a comprendere l'attualità globale chi vive e lavora in contesti internazionali.

    Tengo corsi di traduzione giuridica rivolti a chi traduce, da o verso la lingua italiana, i testi legali utilizzati nelle relazioni internazionali fra persone, imprese e organi di giustizia.

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