Was Donald Trump konkret unternehmen wird, bleibt, besonders aussenpolitisch, ein Rätsel. Was wir tun können, kann man meines Erachtens in den folgenden drei Punkten zusammenfassen. Wenn in den USA ein solcher Präsident gewählt wird, gibt es doch noch Möglichkeiten, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Die Folgen der US-Präsidentschaftswahl sollten nicht kleingeredet werden.
Diese Aufzählung beansprucht keine Vollständigkeit.
1 – Europa, EU und NATO. Was genau passieren wird, ist nicht klar. Dass die NATO gekündigt wird, ist kurzfristig unwahrscheinlich. Dass sie schwächer werden könnte, ist nicht auszuschliessen. Nach den Aussagen Trumps, er verstehe nicht den Grund, warum die USA für die Verteidigung anderer Länder einstehen sollten, die sich daran finanziell nicht entsprechend beteiligen, ist die Allianz in den Augen ihrer potenziellen Gegner bereits schwächer geworden, zumindest psychologisch. Die NATO ist eine Anomalie, die wir hinter uns lassen sollten. Eine europäische Verteidigungsgemeinschaft sollte bereits gleich nach dem 2. Weltkrieg entstehen. Das Projekt scheiterte. Ein neues Verteidigungskonzept wäre 1989, nach dem Ende der Teilung Europas, höchst wünschenswert gewesen. Man zog damals vor, stattdessen die NATO umzufunktionieren und neue Mitglieder aus Osteuropa aufzunehmen. Es ist nun an der Zeit, dass Europa für die eigene Verteidigung sorgt. Das wird nicht einfach sein. Das Thema der nuklearen Waffen wird sich unvermeidlich stellen. Europa ist heute hauptsächlich an zwei Fronten gefährdet: Südlich wegen der Entwicklungen im Nahen Osten, auch in Form von internationalem Terrorismus; östlich wegen der Gier Russlands, alles, was westlich seiner westlichen Grenze liegt, von Tallin bis nach Lissabon, zur eigenen Einflusszone zu machen, nach dem Muster des Verhältnisses der USA zu Lateinamerika. Wir sollten mit der ständigen und leeren Kritik an die EU ein für alle Mal Schluss machen und die Probleme der Union konstruktiv anpacken. Ein funktionierendes europäisches Konzert ist die notwendige Voraussetzung, um mit dem unruhigen Nachbarn Russland und den anderen Weltmächten auf Augenhöhe zu verhandeln und für unsere Sicherheit zu sorgen.
2 – Für eine bessere Bildung stehen und komplexe Fragen nicht scheuen. Viele unerwartete Wahlergebnisse der letzten Jahre beruhen auf dem immer tieferen Bildungsniveau nicht nur der einfacheren Bevölkerungsschichten, sondern eben der kulturellen Eliten. Intellektuelle Eliten und sogenannte Populisten sind zwei Seiten der gleichen Medaille. In den Köpfen der Intellektuellen – Akademiker, Schriftsteller, Journalisten u.v.a. – haben sich Argumente abgelagert, die völlig sachfremde Entwicklungen annehmen. Ein Beispiel dafür ist das Thema Migration. Eine persönliche Erfahrung davon hatte ich bei einer Diskussion in einem sozialen Netzwerk mit zwei gut ausgebildeten Gesprächspartnerinnen (Uni-Abschluss, mehrsprachig, weltoffen). Ich sprach von der Notwendigkeit, zwischen Wirtschaftsmigranten und Flüchtlingen zu unterscheiden, von Sozialvertrag, von Lohndumping-Risiken. Ich wurde schlicht und einfach als «Nationalist» abgestempelt. Dabei argumentierten beide Damen mit unglaublich naiven und oberflächlichen Aussagen entgegen, die direkt aus der Spielzeugkiste der Siebziger Jahre stammten. Trotz der guten Ausbildung konnten sie keine sachlichen Argumente vortragen und wiederholten unermüdlich politisierte Leitmotive: Unbegrenzte Einwanderung für Wirtschaftsmigranten, Welt ohne Grenzen, Planwirtschaftsmassnahmen und Sozialleistungen für alle. Es ging nicht um Meinungsverschiedenheiten: Es fehlte jedes objektive Element für eine vorurteilsfreie Diskussion, egal in welcher Richtung. Wer in der öffentlichen Debatte zu bemerken wagt, dass es Sozial-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften gibt, die zum Thema Völkerwanderungen konkrete Ansätze bieten, der stosst gegen Ablehnung und zwar nicht bei den einfacheren Leuten, sondern eben bei denjenigen Menschen, von denen man eine konkrete und wissenschaftlich fundierte Herangehensweise erwartet. Der Gegner ist automatisch «gegen Migranten» oder nicht «humanistisch» genug, im schlechtesten Fall ein «Rassist» oder im Duft des Rechtsextremismus. Ein anderes, gutes Beispiel bieten die Rechte der Schwulen- und Lesbengemeinschaft. Dass homosexuelle Paare den heterosexuellen gleichgestellt werden, ist eine Selbstverständlichkeit. Die Gleichberechtigung wurde mittlerweile weitgehend erreicht, es war übrigens keine verhältnismässig grosse gesetzgeberische Herausforderung, aber: Die Debatte hat überall ein solches Ausmass angenommen, das sie mittlerweile jedes Verhältnis zur tatsächlichen Dimension der homosexuellen Bevölkerung verloren hat. Das Thema hat sich zu einem Zufluchtsargument für intellektuelle Eliten entwickelt, die wegen fehlender Ausbildung keine konkrete Antwort auf eigentlich komplexe Fragen bieten können. Unsere Gesellschaft besteht zu x-zig Prozent aus Familien, die – um nur ein Beispiel zu nennen – ständig an Kaufkraft verlieren: Dieses Thema kann die Köpfe der Klugen allerdings nicht erhitzen. Wer versucht, darauf hinzuweisen, dass die meisten Menschen von den Regelungen für Homosexuelle, so notwendig wie sie auch immer sind, nicht betroffen sind, der wird gleich als Feind der sozialen Gerechtigkeit katalogisiert. Wer wagt noch, sich zu Wort zu melden und die Bedürfnisse der Mehrheit zu thematisieren? Die Bürger, deren Lebensstandard sinkt und sinkt, lesen und hören die ganze Zeit in den Medien nur noch von Schwulen und Migranten, haben zwar nichts Persönliches gegen Ausländer und gleichgeschlechtliche Partnerschaften, aber wählen schliesslich den nächsten Donald Trump, denn sie verstehen die Welt nicht mehr. Dass der betreffende Kandidat nur Illusionen verkauft, spielt keine Rolle: Er ist «gegen das System» der Eliten, die ihnen Werte vorgaukeln, die zwar schön sind, aber den Alltag der meisten Bürger nicht besser machen. Man könnte unzählige Beispiele nennen: Die vereinfachte Realität der Eliten und die vereinfachte Realität der Populisten nähren sich voneinander: Im Leerraum dazwischen liegt unsere komplexe, moderne, globalisierte Gesellschaft. Diese gilt zu enträtseln, denn it’s here to stay, sie ist hier zum Bleiben. Kein Trump, keine Frau Petry und keine Le Pen werden das Rad der Geschichte zurückdrehen können. Kein akademisches Geschwätz und keine nostalgischen Blumenkinderphantasien werden Lösungen liefern. Sogar die katholische Kirche von Papst Franziskus neigt bei der Analyse des internationalen Geschehens zu erstaunlich schwachen Einschätzungen. Konkrete, objektive Ansätze sind doch möglich. Sie erfordern Sachverständnis und Zivilcourage. Wer sie versucht, muss in Kauf nehmen, dass ein paar Freunde und Followers verloren gehen könnten.
3 – Wir sollten mit den (alten und neuen) Medien viel sorgfältiger umgehen. Ihre ursprüngliche Funktion, korrekte Informationen zu vermitteln und zu kommentieren, erfüllen Zeitungen und Rundfunkanstalten nur noch in geringem Masse. Die Lage der Presse ist im deutschen Sprachraum besser als in anderen Gebieten. Im italienischen Sprachraum erreicht das Qualitätsniveau der Medien im europäischen Vergleich einen der tiefsten Punkte. Die neuen Medien (Blogs, Facebook, Twitter) sind mittlerweile zum idealen Schlachtfeld für gelenkte Posts und kostengünstige Auftritte selbsternannter «Experten» und Gurus aller Art geworden. Es ist nicht mehr notwendig, Wahlergebnisse zu fälschen. Man kann die Wähler durch gezielte Troll-Kampagnen und Verschwörungstheorien auf ein gewünschtes Wahlergebnis vorprogrammieren, niemand wird das «demokratisch» erreichte Resultat in Frage stellen. Leser und Nutzer, die in der Lage sind, falsche oder halbwahre Meldungen zu erkennen, bleiben eine einflusslose Minderheit. Soziale und politische Bewegungen, die in den letzten Jahren auf der Weltbühne erschienen sind und die Gunst der Wähler überraschend schnell erobert haben, verdanken weitestgehend ihren Aufstieg dieser Kunst der Konsensbildung durch Manipulation. In dieser Kunst sind der italienische Berlusconi als Vaterfigur, Vladimir V. Putin als unbestrittener Weltmeister und Donald Trump als Neuanschaffung zu krönen.
Wenn in den USA ein Präsident gewählt wird, der nichts Gutes verspricht, gibt es doch noch Möglichkeiten, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Wir können uns als Europäer so organisieren, dass die Entscheidungen in Washington für uns nicht mehr so lebenswichtig sind; wir können unser geistiges Kapital dafür einsetzen, dass das komplexe Gefüge der globalisierten Gesellschaft für alle verständlicher und zugänglicher gemacht wird; wir können mit kapitalen Fragen wie Migration und Manipulation der öffentlichen Meinung mutiger und in bewussterer Weise umgehen, anstatt einfach den Dingen freien Lauf zu lassen.
Die Folgen der US-Präsidentschaftswahl sollten nicht kleingeredet werden. In den letzten 16 Jahren kam es mehrmals zu Schlüsselereignissen der Weltgeschichte, bei denen das Wort des US-Präsidenten ausschlaggebend war.
Der Irak-Krieg mit George W. Bush und der Umgang mit der Syrien-Krise unter Barack Obama – ich nenne nur zwei Beispiele – haben die Welt(un)ordnung von heute entscheidend bestimmt. Andere Menschen und andere Entscheidungen hätten mehr oder weniger Tote, mehr oder weniger Terror, mehr oder weniger Migranten zur Folge gehabt. «Die Sonne wird morgen wieder aufgehen», hat Präsident Obama nach dem Wahlsieg Trumps erklärt. Die Sonne wird wieder aufgehen, egal was passiert, aber die Sonne kann selbst über einen Trümmerhaufen scheinen.